Weder Tier noch Pflanze – Faszination Pilz

Unterirdisches Wunderreich
Früher war’s einfach. Alle mehrzelligen Lebewesen gehörten entweder zu den Pflanzen oder den Tieren, und für eine lange Zeit kam niemand auf die Idee, das anzuzweifeln. Erst im 20. Jahrhundert wurden Biolog*innen stutzig, denn, wie sie herausfanden, betreiben Pilze keine Photosynthese, sondern sind auf organische Substanzen als Nahrung angewiesen. Pflanzen ernähren sich aber laut uralter Definition von Sonnenlicht, das sie mithilfe des Chlorophylls in ihren Blättern zu Energie umwandeln und bauen sich ihre Biomasse aus dem Kohlendioxid, das sie aus der Luft filtern. Da Pilze nichts von beidem tun, können sie nicht als Pflanzen gelten. Weil sie aber auch keine Tiere sein können, die über einen ganz anderen Zellaufbau verfügen, wurden Pilze kurzerhand zu einer eigenständigen Kategorie erklärt, die seither neben den Pflanzen und den Tieren das dritte Reich der eukaryotischen (mehrzelligen) Lebensformen ausmacht – die Fungi.

In der Folge begannen sich viele Wissenschaftler*innen für die Fungi zu interessieren und die Pilzforschung etablierte sich. Zu den interessantesten Erkenntnissen dieser Disziplin gehört die Tatsache, dass viele der bekannten Waldpilze wie Steinpilze oder Eierschwämme in einer Symbiose mit den sie umgebenden Bäumen leben. Während die Bäume den Pilzen zu Zucker verarbeiteter Kohlenstoff zuführen, versorgen die Pilze sie mit Nährelementen und Wasser. Das geschieht über die sogenannten Pilzfäden, die von den Pilzen bis zu den Wurzelspitzen führen und das Wurzelnetzwerk von Bäumen bis zu hundertfach vergrössern können. Tatsächlich bilden Pilze unter dem Waldboden riesige unterirdische Netzwerke, die in Anlehnung an das Internet seit kurzem auch als das wood wide web bezeichnet werden. Fast 90 Prozent aller Waldpflanzen sind Schätzungen zufolge in dieses Netzwerk eingebunden.

Mmmmmh... Pilzlen!
Dass Pilze nicht nur biologische Wunderwesen, sondern auch kulinarische Leckerbissen sind, wissen wir alle. Gefüllte Champignons, Morchelsauce, Steinpilzrisotto, Eierschwämmlisuppe, Trüffel-Pasta, usw. – Speisepilze sind wegen ihrem vielseitigen Geschmack und günstigen Nährwertgehalt nicht mehr aus unserer Küche wegzudenken. Dass auch diesen Herbst wieder tausende Pilzsammler*innen unsere Wälder durchstreifen werden, hat aber auch noch einen weiteren Grund: «Pilzlen» macht Spass und liegt voll im Trend. Gerade wenn der Waldboden nach einigen Tagen Regen noch feucht und warm ist, stehen die Chancen auf einen leckeren Fund gut. Damit aber weder das natürliche Kommunikationssystem der hiesigen Wälder noch die eigene Verdauung in Mitleidenschaft gezogen wird, sollten beim Pilzsammeln folgende Punkte beachtet werden:

  • Beachten Sie die unterschiedlichen Sammelzeiten in den Kantonen. Im Kanton Zürich beispielsweise herrscht zwischen dem 1. und dem 10. jeden Monats ein striktes Sammelverbot. Pro Person und Tag darf ausserdem ein Sammelgewicht von 1kg nicht überschritten werden. Die Regelungen der anderen Kantone finden Sie hier: Kantonale und kommunale Pilzsammelbestimmungen

  • Sammeln sie nur Pilze, die Sie kennen und die Sie zu verspeisen beabsichtigen (d.h. ganz junge oder zerfressene Pilze stehen lassen). Das mutwillige Zerstören von Pilzen ist im Kanton Zürich seit 1983 verboten.

  • Drehen Sie den Pilz vorsichtig aus dem Boden, ohne die Basis des Stiels zu verletzen. Das entstandene Loch sollte anschliessend zugedeckt werden, damit das wertvolle Pilzgewebe keinen Schaden nimmt.

  • Tragen Sie die gesammelten Pilze nicht in einem Plastiksack (Schimmelgefahr). Verwenden Sie stattdessen einen Korb oder eine Stofftasche.

  • Es lohnt sich, die gesammelten Pilze in einer Pilzsammelstelle kontrollieren zu lassen. Beabsichtigen Sie, das Sammelgut zu verkaufen oder zu verschenken, ist der Besuch bei einer Kontrollstelle sogar Pflicht.

Pilze aus dem Supermarkt
Nicht alle mögen es, in durchnässten Schuhen auf rutschigen Abhängen herumzuturnen, um die besten Pilze zu finden. Deshalb wurden bereits in der Mitte des 17. Jahrhunderts Techniken entwickelt, um Pilze zu züchten. Das Kultivieren von Champignons auf Pferdemist galt damals als hohe Kunst. Heute wird die Pilzzucht meistens aufwändigen Computersystemen überlassen, die alle relevanten Klimaparameter wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit, CO2-Gehalt oder Lichtmenge genau überwachen und steuern. Der Champignon-Pilz, der bis vor wenigen Jahrzehnten noch als Delikatesse galt, ist heute mit 7000 Tonnen pro Jahr der beliebteste Zuchtpilz der Schweiz, gefolgt von Austernpilzen (200 Tonnen pro Jahr), Shiitake (80 Tonnen pro Jahr) und Kräutersaitlingen (20 Tonnen pro Jahr). Die Zucht von Mykorrhizapilzen wie zum Beispiel Pfifferlingen, Steinpilzen oder Trüffel gelang bisher trotz intensiver Versuche nicht, da diese Pilze einen Baumpartner benötigen, um zu fruchten.

Nachhaltige Zuchtilze
Auch beim Kauf von gezüchteten Pilzen gibt es einige Dinge zu beachten. Champignons sind aufgrund der kurzen Wachstumsdauer zwar die günstigsten, aber auch die umweltschädlichsten Kulturpilze. Alle Zuchtpilze werden nämlich auf einem auf die jeweilige Pilzart abgestimmten Substrat kultiviert. Für Champignons wird dabei auch heute noch häufig auf Pferdemist zurückgegriffen – allerdings angereichert mit ertragsfördernden Substanzen wie Schwarztorf. Torf, ein organisches Sediment, entsteht ausschliesslich in Moorgebieten, die äusserst wertvolle Biotope für zahlreiche Lebensformen darstellen. In der Schweiz ist der Torfabbau aus Umweltschutzgründen seit 1987 verboten. Allerdings ist die hiesige Champignonzucht auf Torf angewiesen, um die grosse Nachfrage der Schweizer*innen nach Champignons abdecken zu können. Deshalb importiert die Schweiz jährlich über 500'000 m3 Torf aus dem Baltikum und aus Russland. Auch Bio-Champignons gedeihen zurzeit trotz zahlreicher Versuche, konkurrenzfähige Zuchtmethoden zu finden, die ohne Torf auskommen, auf Schwarztorf. Wer Champignons kauft, macht sich also mitschuldig an der grossflächigen Zerstörung von uralten Lebensräumen.

Es lohnt sich also auf Champignons zu verzichten und stattdessen andere Zuchtpilze wie Austernpilze oder Shiitake in den Einkaufskorb zu legen. Diese können ohne Torf gezüchtet werden, und schmecken zudem besonders lecker. Auch der Kauf von Mykorrhizapilzen wie Steinpilzen oder Eierschwämmen ist empfehlenswert, sofern diese mit Rücksicht auf das wood wide web gesammelt wurden. Am besten schmecken allerdings die Pilze, die man selber gesammelt hat. Gerade jetzt quellen unsere Wälder mit frischen Pilzen geradezu über, und es lohnt sich deshalb besonders, den nächsten freien Tag in der Natur zu verbringen.

(Text: Simon Braissant, Biovision)

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